Texte …
Antonella Cattani contemporary art
Veronika Dirnhofer vis à vis Martin Pohl
Von anscheinend weit entfernten Positionen und Stilen ausgehend, haben sich Veronika Dirnhofer und Martin Pohl für diese Ausstellung mit dem Titel vis à vis auf einen unerwarteten, völlig neuen Dialog eingelassen.
Beide Künstler scheinen unvorhergesehene Vorfälle, die sich ergeben, während sie mit ihrer Malerei beschäftigt sind, mit aufzunehmen und zu verarbeiten, wobei sie den unzähligen Wahrnehmungsmöglichkeiten ihres Ausdrucksmittels – eben der Malerei – Räume und Flächen bieten.
In Veronika Dirnhofers Arbeiten verknüpft sich die Kraft der Farbe mit verführerisch abstrakten Formen, während Martin Pohls Landschaften von konkreten Elementen ausgehen, um uns dann jede Vertrautheit mit realen Vorlagen zu nehmen.
Günther Oberhollenzer | Malerei, die sich selbst genügt
Die atmosphärisch dichten Farbwelten des Malers Martin Pohl
Manchmal hat man den Eindruck, der zeitgenössische Kunstbetrieb lebt von modeabhängigen Trends und Hypes, die dem verunsicherten Kunstliebhaber weismachen wollen, was gerade „en vogue“ ist, welche Kunst es zu betrachten, zu kaufen gilt. Dazu gehört es auch, schon einmal voreilig das „Ende der Malerei“ auszurufen oder zumindest diese klassische Gattung der Bildenden Kunst gegenüber den neuen Medien als überholt und antiquiert zu überführen. Ist die Malerei ein Auslaufmodell? Es wird wohl kaum überraschen, dass an dieser Stelle darauf mit einem resoluten „Nein“ geantwortet wird. Nicht nur, dass immer dann, wenn das Ende der Malerei verkündet wurde, diese mit ungeheuer Kraft zurückgekehrt ist (man denke an die „Neuen Wilden“ in den 1980er Jahren oder an die „Neue Leibziger Schule“ Ende der 1990er Jahre), die Malerei gehört – wie übrigens auch die Zeichnung – zu den unmittelbarsten Ausdrucksformen künstlerischer Kreativität und Vorstellungskraft. Auch in der zeitgenössischen Kunst. Eigentlich sonderbar, dass immer wieder eine Lanze für die Malerei gebrochen werden muss. Künstler wie Martin Pohl führen uns jedenfalls seit Jahren eindrucksvoll vor Augen, welche Strahlkraft Malerei auch heute haben kann. Pohls außergewöhnliche malerische Materialität lässt uns aber auch erkennen, dass hier noch lange nicht alle technischen wie kreativen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Von Helen Frankenthaler, einer amerikanischen Vertreterin der Farbfeldmalerei („Colour Field Painting“) und des abstrakten Expressionismus, ist der Satz überliefert: „Jegliche Änderung in der Malerei, jegliches Fortkommen in der Malerei schließt von nun an eine Änderung der malerischen Technik mit ein. Pohl scheint diese Aufforderung vernommen zu haben. Das Malen per se, das Wühlen in der Farbmaterie, der intensive Arbeitsprozess und das unmittelbare Agieren mit dem Pinsel oder vielmehr mit der Spachtel: es hat den Anschein, als wolle der Künstler zum Ursprung des Mediums zurückkehren, seine Grenzen ausloten und sich der elementaren bildnerischen Qualitäten bewusstwerden. Die Malmaterialen sind reines, unvermischtes Pigment, mit Nitro verdünnt und gebunden durch warmes, streichfähiges Wachs, ein in Acryl eingefärbte, monochrome Hartfaserplatte und verschiedene Spachteln. Pohl liebt große Werkzeuge, ausladende Bewegungen, starke Formen und Gesten. Mit geübter Hand entscheidet er, wie viel Druck auf die Spachtel ausgeübt werden soll, mit welcher Intensität – Undurchsichtigkeit oder Transparenz – die Farbpaste auf den Bildgrund aufgetragen wird. Das Bearbeiten ist nur kurze Zeit möglich, die Energie des Schwungs muss mitgenommen werden, jeder Zug der Spachtel stimmen. Das Wachs erkaltet bald, ein nachträgliches Korrigieren und Ausbessern ist nicht möglich. Die Vorbereitung scheint gut durchgeplant und folgt genau festgelegten Regeln, der malerische Akt ist es nicht, im Gegenteil, die breit geschwungenen, wellenartigen Formen und ihr dynamischer Gestus haben etwas Leichtes, Spontanes, bisweilen auch kontemplativ Ruhiges. Vor der Hartfaserplatte agiert der Künstler intuitiv und frei. Beim Ziehen der Schwünge ist dieser Freiraum unverzichtbar, um unmittelbar auf das Bild und seine haptische Präsenz reagieren zu können, um ein offenes Auge dafür zu haben, wohin die Hand die Spachtel führt, was es auf der Oberfläche zu entdecken gilt. Der geplante Zufall ist wesentlich. Schicht um Schicht wird ein illusionistischer Farbraum komponiert, einem visuellen Klangteppich gleich, mit Höhen und Tiefen, stillen und lauten Passagen. Weich überlappen sich einzelne Bahnen, reine Farben wie violett und grün leuchten auf fein durchschimmernden schwarzen oder weißen Bildgrund. Es ist wahrscheinlich kein bewusstes künstlerisches Anliegen, aber die außergewöhnliche Technik lässt den Schaffensprozess in seinem kreativen Ablauf sichtbar werden. Pohl gelingt es, den malerischen Akt für den Betrachter in seiner zeitlichen Dimension erfahrbar zu machen. Man sieht geradezu, wie er den Bildgrund bearbeitet, das Kunstwerk langsam Form annimmt. Die grundsätzlich zweifärbig angelegte Malerei ist abstrakt, ohne Verweise auf das Gegenständliche. Sie reduziert sich auf das Wesentliche: Farbe und Form – leuchtendes, reines Kolorit, kräftige und gleichzeitig weiche, fein verstrichene Schwünge, dicht gespachtelte und zarte, transparente Flächen. Schichtungen und Faltungen. Der malerische Duktus ist unmittelbar und ohne Beiwerk, die gestische Abstraktion klar und konsequent ausgeführt. Andreas Hapkemeyer spricht in diesem Zusammenhang von einer „reinen Malerei“, die dem Geistigen näher ist als eine gegenstandsbezogene (Kandinsky), einer Malerei, die auf das Material bezogen ist, aus der sie besteht. Hapkemeyer betont den Objektcharakter von Pols Bildern – Materialität von Bildträger und aufgetragener Farbmasse – und hebt insbesondere den spannungsvollen Kontrast von Konzeptualität und Materialität hervor. Die radikale Negation der Figuration zugunsten von Farbe und Form, der dynamische Gestus, die Aufwertung des Materials Farbe oder der Gebrauch des Zufalls: Pohl vertritt hier einen Malereibegriff, der auf Selbstreferenzialität basiert. Die Gemälde verzichten auf traditionelle Funktionen des Bildes wie Nachahmung und Illusion, sie wollen nichts abbilden oder erzählen. Gibt es eine lesbare Bildgeschichte, kann sich der Künstler hinter sie zurückziehen oder vielleicht auch verstecken, wenn aber der abstrakte Gestus offen daliegt, muss dieser allein für sich sprechen. Es ist eine Malerei der selbstreflexiven Zuspitzung, nichts lenkt vom rein Malerischen ab. Pohl kann in seiner Reduktion auf fundamentale Malvorgänge zu den Vertretern einer prozessualen Malerei gezählt werden. Prozessuale Malerei ist der Versuch, Bildgestaltung primär aus maßgeblichen Eigenschaften und Reaktionsweisen der Farben zu entwickeln und nicht aus narrativen oder kompositionellen Vorstellungen. Durch An- und Zu malen, Zu spachteln, Tropfen, Spritzen, Eintauchen und Anschütten entstehen kreativ gelenkte Selbstdarstellungen von Malerei, in denen die Konsistenz der Farbe in ihrem Verhältnis zur Schwerkraft und zur Beschaffenheit des Bildträgers sichtbar wird. Grundgelegt waren solche Ansätze in der gestisch-prozessualen Malerei des Informel, deren zunehmende Entleerung zur pathetisch-akademischen Attitüde aber zum Gegenbild dieser neuen selbstreflexiven Malerei wurde. Das Ergebnis prozessualer Malerei in reinster und reduziertester Form sind Monochromien wie die von Yves Klein oder musterartige All-over-Strukturen wie Jackson Pollocks „drip paintings“. Aber bis heute gibt es ein breites Spektrum unterschiedlichster individueller Ausformungen dieses Phänomens. Martin Pohl nimmt darunter eine konsequent eigenständige Position ein. Das unbegrenzte, unaufhörliche Bild ist nur in einem Ausschnitt darstellbar, denn die menschlichen Möglichkeiten sind begrenzt. Steht der Betrachter vor Pohls Farbräumen, glaubt er zu erkennen, dass es sich nur um einen kleinen Ausschnitt der künstlerischen Wirklichkeit handelt. Das Ende der Holzplatte ist nicht das Ende des Bildes. Die Malereien weisen darüber hinaus und rufen das Gefühl des Unendlichen hervor. Dabei entscheidet der Standort des Betrachters über den optischen Eindruck, die Bilder fordern ihn auf, sich im Raum zu bewegen, um in ein Spiel zwischen Gemälde, Farbe, Licht, Raum und Zeit einzutreten und so das Werk immer wieder neu zu erleben, für sich neu zu entdecken. Im Wechsel von Nähe und Distanz werden die Malereien lebendig – und natürlich durch das Licht. Die modellierten Farbschichten fangen das Licht ein, sie lassen die Bilder leuchten. Es ist wohl die Intensität der ungemischten Farben, die materielle Unmittelbarkeit und der so leicht wirkende, dynamische Schwung, die Ausdruck und Stärke von Pohls Arbeiten ausmachen. Der Künstler erschafft eine Malerei von barock verspielter Ernsthaftigkeit, die zwischen meditativen Farbräumen und vibrierender Oberfläche changiert, die frei und spontan, aber auch konzeptionell durchdacht erscheint – eine Malerei, die sich selbst genügt und von einer leidenschaftlichen Verehrung für dieses Medium getragen ist. Pohls Kunst operiert nicht mit einer bestimmten Botschaft und dennoch wirken seine Malereien nie rein zufällig. Sie muss sich nicht ob ihrer Technik rechtfertigen oder mit einem komplexen theoretischen Überbau versehen werden, um bestehen zu können. Denn was auch immer man über Pohls Kunst zu sagen versucht, das intensive Bilderlebnis, das man als Betrachter vor seinen Werken hat, kann nur bedingt in Worten ausdrückt werden. Es muss jeder selbst erfahren.
Museumsräume
Martin Pohl experimentiert mit den Möglichkeiten der Malerei, aber auch mit jenen des Raumes, in dem sie zu sehen ist. In skizzenhaft dargestellten Museumsräumen – durchaus aber mit einem gewissen Wiedererkennungswert (wunderbar etwa die Galerieräume des Essl Museums!) – integriert er seine abstrakten Malereien. Streng reduziert und perspektivisch klar wirken die Zeichnungen wie architektonische Entwürfe, Modell- oder Versuchsanordnungen einer geplanten künstlerischen Intervention. Großzügig hängen hier großformatige Arbeiten, nehmen Malereien flächendeckend ganze Ausstellungswände oder gar den gesamten Museumsboden ein. Pohl gestaltet optische Illusionsräume, die Raummalereien reagieren auf die Architektur, Details wie Maueröffnungen oder Türen werden mit einbezogen. Die weiche Malerei stößt auf harte geometrische Formen, die malerisch gestaltete Fläche kontrastiert mit weißen Wänden und perspektivischen Verkürzungen. Dabei gelingt ihm ein grandioser Kunstgriff. Der Künstler bemächtigt sich des Museumsraums und lässt ihn – nicht ohne Ironie – Teil des Bildes werden. Er entwirft sich seine eigenen, virtuellen Ausstellungen in den großen Kunsthäusern der Welt. Pohl braucht für seine Bilder nicht mehr die aufgeladene „Aura“ eines Museums oder einen institutionalisierten Repräsentationsraum, er erschafft sich seinen Raum selber. Der Bild-im-Bild-Charakter lässt die Grenzen zwischen dem Kunstwerk und seiner Präsentationsform verschwimmen. Die Malerei ist zugleich der Kunstraum ihrer Präsentation. Ein raffiniertes Spiel mit Verdoppelung und Täuschung, vielleicht auch ein Infrage stellen von Originalität und Authentizität von Kunst und ihren etablierten Betrachtungsformen.
Bergbilder
In jüngster Zeit gestaltet Martin Pohl eine große Werkserie von malerischen Landschaften, die an Gebirgsformationen erinnern. Die Bergbilder sind ohne Titel. Doch sind es überhaupt Berge, die wir sehen? Oder glauben wir nur, sie zu sehen, da unser Betrachter Blick so konditioniert ist? Es handelt sich nicht um eine reale Landschaft, aber auch nicht um eine ideale. Pohl transformiert das emotional, historisch und symbolisch stark besetzte Bergmotiv in freie Malerei, nicht ein Abbilden und in Folge Wiedererkennen eines bestimmten Berges ist intendiert. Der Künstler möchte vielmehr das Wesenhafte der Berg Form einfangen. Aber vielleicht ist auch das schon wieder zu viel gesagt. „Es ist eine Landschaft aus Farben, die aus dem Pinsel rinnt“, so beschreibt der österreichische Künstler Herbert Brandl seine gegenständlich-abstrakte Malerei. Eine Charakterisierung, die auch auf die Arbeiten von Pohl gut zutrifft. Vor monochromen Hintergrund türmen sich Farbberge auf, ein Weiß von enormer Plastizität und dennoch atmosphärisch leicht. Im Gegensatz zu den anderen Arbeiten malt Pohl nun an der Wand, wunderbare Rinn Spuren entstehen. Die Malerei wirkt subjektiver, unbekümmerter. Die Spuren des Malvorgangs sind ungebrochen auf der Leinwand sichtbar, bewusst erkennbare Striche, Übermalungen und Farbschlieren lassen den gern erkennbaren figurativen Bildgegenstand weit hinter den Malakt zurücktreten. Wieder sind die Werke in erster Linie von der Farbe und dem Malprozess hergedacht. Die reine Malerei bleibt im Mittelpunkt.
Günther Oberhollenzer Studium der Geschichte und Kunstgeschichte in Innsbruck und Venedig, postuniversitärer Master in Kulturmanagement in Wien. Seit 2006 Kurator und Projektleiter im Essl Museum in Klosterneuburg bei Wien. Ausstellungsprojekte im In – und Ausland.
Ruth Hass | Barocker Opulenz
Mit wahrhaft barocker Opulenz, beinahe obszönem Glanz und transparenter, ja nahezu gläserner Zartheit präsentieren sich die Gemälde des in Tarsch (Vinschgau) geborenen, vorerst zum Bildhauer ausgebildeten Martin Pohl. Heißes Wachs in das Nitro verdünnte, reine Farbpigmente mit alchemistischer Selbstverständlichkeit ein gerührt werden, trägt der Künstler mit sichtbaren, groß(en), -zügigen, direkten Gesten mit einer Spachtel auf den Träger, ordinäre mit Acrylfarbe jeweils einfarbig grundierte Hartfaserplatten, auf. Die Breite der Spachtel steht im direkten unmittelbaren Verhältnis zu den jeweiligen Dimensionen der Bilder welche grundsätzliche zweifarbig angelegt sind. Die Arbeit mit dem schnell erkaltenden Material fordert per se eine dynamische Arbeitsweise ein. Die Tiefenwirkung der Arbeiten Pohls ergibt sich aber durchaus nicht nur aus den Charakteristika der gewählten Technik, sondern resultiert deutlich nachvollziehbar aus den übereinandergelegten und aufeinander gefalteten Schichten. Und es ist doch gerade die Falte, die für den französischen Philosophen Gilles Deleuze der Beitrag des Barock zur Kunst ist! Beim großen Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz entdeckte Deleuze die Wendungen vom „Falten“ und vom „Ein-und Auswickeln“. Er konstruierte auf Leibniz Monadologie aufbauend eine barocke Metaphysik, die er zum einem für eine Beschreibung der Gegenwart fruchtbar macht, zum andern präsentiert er den Barock insgesamt so wie das Werk des Philosophen Leibniz im Speziellen als Produktionsstätte von Krümmungen, Falten und Ausfaltungen. Der Barock erweist sich bei Deleuze als Fundgrube zur Klärung aktueller Themen – vom Universaltheater als massenmediale Organisation der Öffentlichkeit bis zur Krise des Eigentums: Die Schichtungen und Faltungen Martin Pohls gerieren sich wie vergrößerte, fleischige Blütenblätter, dunkeldichter Urwaldbewuchs, sich krümmende weiche Schläuche, mäandernde Wülste, nach außen gestülptes Innenleben, laparaskopiert, bauchig und körperlich. Körperlich im Sinne einer höchst malerischen, aus der Fläche herausdrängenden Variante von Skulptur. In seinen Architekturarbeiten nützt Pohl, der unter anderem in der Meisterklasse von Professor Ernst Caramelle an der Universität für angewandte Kunst in Wien studierte, die Möglichkeiten und Spielarten von „Raum“ auch noch auf ganz andere Art und Weise. Die Eroberung des öffentlichen/halböffentlichen Raums durch die Kunst ist hier das Thema . Pohl baut wahre Raumfluchten, Galerieräume, Museumsräume, institutionalisierte Räume denen eines gemeinsam ist – nämlich die Kunst des Malers Martin Pohl zu präsentieren und von ihr erobert werden. Endlose Wände und Gänge sind mit schillernden Farbtapeten überspannt und darum bemüht zu zeigen, was ihr Creator Mundi zu schaffen im Stande ist – und zwar das Sichtbare wie das Unsichtbare.
Ruth Hass Studium der Architektur und Kunstgeschichte in Innsbruck. Freie Kunsthistorikerin mit Schwerpunkt Textproduktion und PR. Konzeptionierung und Kuratierung verschiedener Ausstellungsprojekte.
Andreas Hapkemeyer | Martin Pohls Barocke Konzeptmalerei
Totgesagte leben länger. Das gilt zum Beispiel für den Roman, der spätestens seit Joyce‘ „Ulysses“ den Avantgardisten nicht mehr möglich schien, und dennoch in den letzten achtzig Jahren die wunderbarsten und unerwartesten Blüten hervorgebracht hat. Eine andere Totgesagte ist die Lyrik: nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben, sagte bald nach dem Krieg Adorno; die literarischen Erneuerer der 50er und 60er Jahre bezeichneten lineare Lyrik nach Futurismus und Dadaismus gelinde gesagt als altmodisch, spätestens seit der 50er Jahren aber als definitiv obsolet.
Diese Aussagen fußen auf dem der Moderne eigenen, urozentrischen Gedanken eines linearen Fortschritts, der wesentlich formaler Natur ist. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass die Lyrik unter anderen soziohistorischen, aber auch kulturellen Bedingungen unglaublich viele Ausdrucksformen zu produzieren vermag, in denen uns die – nachdenkliche, klagende, preisende, aggressive – Stimme eines Einzelnen auf aktuelle Weise zu berühren vermag.
Andreas Hapkemeyer „Storm the museum space“
Andreas Hapkemeyer 1955 in Osnabrück geboren, in Bozen aufgewachsen. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte, Romanistik und Philosophie in Innsbruck. Längere Studien- und Lehraufenthalte in Kanada und Süditalien. Seit 1988 am Museum für moderne Kunst Bozen, dessen Direktor er seit 2001 ist. 1995 Habilitation in neuerer deutscher Literatur. Buchpublikationen zu Ingeborg Bachmann, Friedrich Dürrenmatt und „Language in Art“. Forschungsschwerpunkt der letzten Jahre sind Bild-Text-Beziehungen in Moderne und Gegenwartskunst. Hapkemeyer unterrichtet regelmäßig an den Instituten für Kunstgeschichte und Germanistik der Universität Innsbruck.
Elisabeth von Samsonow | Storm the museum space
Wie durch das Werk jenes Gottes, dessen Kopf an der Hinterseite kahl ist, vorne aber mit einem einen Haarschopf versehen, damit man ihn ergreifen kann (die Chance und die gute Gelegenheit), sah Martin Pohl sofort, wie wunderschön es aussieht, wenn man Pigmente in einem Bindemittel aus Wachs mit dem Spachtel auf einen einigermaßen widerstandsfähigen Bildträger aufbringt. Die Pigmente gewinnen sozusagen im Wachs Bad an gläserner Transparenz, und was einmal Prinzip und Substanz der Malerei ist, nämlich die in einem Zuge (sonst in einem Strich, in einem entschlossen gezogenen Pinselstrich) aufgetragene Farbe, erscheint in diesem Verfahren wie vergrößert und verdichtet. Man starrt nun gewissermaßen ungläubig auf diese breiten Streifen von Farben, die ein exzentrisch geführter Spachtel in kurvige Formen geschoben hat …
Elisabeth von Samsonow „Storm the museum space“
Professorin für Philosophie und historische Anthropologie der Kunst an der Akademie der bildenden Künste, Wien, lehrt und forscht zu den Schwerpunkten Philosophie und Geschichte der Religionen in Beziehung zu einer Theorie des kollektiven Gedächtnisses, zum Verhältnis zwischen Kunst und Religion in Geschichte und Gegenwart, zur Theorie und Geschichte des Frauenbildes bzw. der Weiblichen Identifikation. Zahlreiche Texte zu zeitgenössischen Künstlern.
Valerio Dehò | Ai confini della pittura
Misurare lo spazio, dare rappresentazione alle coordinate interne del museo e poi aprirsi alla natura, ma sempre dal punto di vista della pittura. Martin Pohl nel 2005 ha intrapreso una ricognizione sui principali musei del mondo con cui è entrato in relazione fisica e psicologica. Ne ha ricreato le sensazioni ma anche le spazialità. Ha compiuto un’analisi di come sia possibile recuperare la sensazione primaria dello spazio. La struttura espositiva è diventata un territorio di sperimentazione del rapporto tra la pittura e la rappresentazione. Allo spazio interno del museo si affianca quello interiore dell’artista, rispetto alla sua capacità di coglierne le essenzialità. Naturalmente l’arte non può entrare in competizione con le scienze matematiche, ma Pohl ha creato delle geometrie variabili per mettere in relazione il misurabile e l’emozionale. Questa compresenza tra ordine e caos viene risolta nella funzionalità di una bellezza contemplativa che stimola la mente e l’occhio in una vertigine di percorsi e trame. La pittura di Pohl è estremamente gestuale, la cera e il pigmento spatolato sul supporto, non saturano l’immagine, lasciano vuoti, sovrapposizioni, densità diverse, profondità inattese.
La stessa “regola” dell’architettura come spazio definito e definitivo, viene violata. Le strutture si rivelano per quello che sono in quanto pure relazioni, senza un guscio di contenimento che possa occludere allo sguardo il processo di formazione.
Tali architetture prive di pareti si protendono verso la terza dimensione che è pura ipotesi concettuale, direzione di sviluppo e dato reale infinitesimale. Abbiamo a che fare con uno spazio adulto, formato, matura che viene sottoposto ad una traduzione personale ma che tiene in piedi un sottile legame di riconoscibilità con il soggetto. I musei contano ad esserci in questi lavori, ma sono diversi. Sono albori di forme la cui complessità appare sempre in sviluppo, la conclusione dell’opera, la sua definizione in quanto spazio chiuso nell’ambiente-parete, sembra solo una formula provvisoria. Alcune volte è possibile rintracciare dei punti di partenza, delle origini, anche perché l’artista opera spesso come spunto sviluppando un segno bi dimensionale. Ma è sempre la misura la chiave di volta del suo percorso, il fatto che tutto possiede una forma di energia misurata, ma enorme. Ricordano, soprattutto quando i quadri sono di dimensioni importanti, qualcosa del sublime matematico kantiano. Questi lavori che sono dei veri e propri spunti per una meditazione diretta sull’arte e sulle rappresentazioni dello spazio.
Martin Pohl inoltre con la sua tecnica pittorica esalta le profondità, ma sa anche creare quella giustapposizione di vuoti e di pieni che riesce a dare all’opera la struttura e l’apertura del non finito. Non chiude mai lo spazio, anche quando le opere sono puramente astratte e il colore monocromatico diventa il protagonista della tela, la circolarità della stesura dell’impasto pittorico, lascia sempre delle trame, delle texture, che non chiudono mai in modo definitivo l’opera. Invece, nei “Musei” lo spazio chiuso dell’architettura è lasciato intuibile e aperto proprio per esaltare le possibilità, la continuità nel cambiamento. Non ci si può fermare all’esistente, il museo anche come spazio rivissuto in modo personale non può mai precludersi ad un futuro cambiamento. Del resto l’artista colloca in un certo senso sé stesso dentro il quadro, si fa vedere attraverso la sua pittura. Il quadro diventa allora qualcosa che potrebbe definirsi un rendering immaginario, senza pretese di calcolo e di approssimazione. Il caos delle emozioni e la razionalità delle linee ortogonali, diventano un volano di soluzioni in cui la pittura resta protagonista e si tratta sempre e solo della pittura di Martin Pohl, sempre perfettamente riconoscibile.
Questa lettura implica che la spazialità resta fondamentale ma soprattutto come regno di possibilità, non come artificio o esercizio di razionalità. Allora i recenti paesaggi alpini sono in un certo senso una forma di liberazione, ma anche se vogliamo, una logica conseguenza della liberazione dello spazio museale. Intanto Pohl compie un’ulteriore operazione di appropriazione. La sua pittura diventa da un lato uno strumento di lettura dei vari soggetti, dall’altro possiede la caratteristica di rappresentare sé stessa, per diretta ostensione. Non bisogna credere tanto alla filosofia della rappresentazione dell’artista. Non gli interessa tanto in sé il soggetto, se non come limite dell’opera, come riferimento. In effetti, anche nella serie delle “Montagne” è chiaro per chi ci vive in messo che si tratta di qualcosa perfino di scontato, ma bisogna fare attenzione perché il linguaggio di Pohl si appropria di tutto quello con cui entra in contatto. Le stesse cime imbiancate, lasciano qualche spazio al cielo, ma oscillano verso una rarefazione che non è solo legata al paesaggio. Si tratta di lasciare spazio alla pittura o per sottrazione, ritirando il soggetto entro limiti spaziali determinati, oppure saturando l’intera superficie di grondante encausto in modo da accentuare non solo la stesura senza pennello, ma anche il dripping conseguente all’abbondanza del materiale.
Allora tutto diventa conseguente perché la pittura resta tale e le montagne trattengono la soggettività e l’imponenza che le fanno desiderare e temere. È la forza di gravità che fa percorrere alla vernice una traiettoria verso la terra, quasi a ricongiungere il quadro a ciò che lo circonda. Per questo si parla di spazio e non semplicemente di rappresentazione. Martin Pohl dedica ai suoi soggetti, che sono sempre ciclici e mai determinati dalle occasioni, l’attenzione di una sperimentazione senza fine, deve dedicarsi a loro per liberarsi di un’ossessione, spesso felice. La sua pittura/non pittura riempie gli spazi diventando spazio essa stessa. Crea qualcosa che prima non c’era non vuole sommarsi alle altre rappresentazioni degli spazi dei musei o delle montagne. Possiamo quasi dire che mostra sempre sé stessa, la sua pittura è la sola protagonista dei lavori. Il soggetto è un motivo, una buona scusa per dipingere, la partecipazione emotiva ed empatia verso la “cosa” rappresentata ha come fine ultimo la liberazione dallo stesso soggetto. Non è una contraddizione, ma la vera conquista del Novecento e anche l’eredità pittorica dell’Impressionismo. Allora il passo da uno all’altro periodo c’è, eppure è quasi inavvertibile, nel senso che la volontà dell’artista rimane quella di continuare a elaborare il suo personale linguaggio per dare forma al mondo. È questa forma non può prescindere che dalla propria pittura. Lo stesso minimalismo coloristico se da un lato certe volte va in una direzione naturalistica, in genere si ferma un passo prima. Quasi a non concedere troppo al soggetto, ai sentimenti, a quell’equilibrio tra ordine e caos di cui abbiamo parlato. E il resto è dipingere, in purezza, e sempre trovando nella tradizione le tecniche anche antiche per esprimere una visione contemporanea, sull’oggi, sul mondo e sui confini della pittura che sa diventare ambiente e spazio.
Otmar Rychlik | Substanz und Fülle
Malerei, zweifellos immer noch ein unvergleichliches Medium, auf seine Weise unübertrefflich. Wir sprechen von einer großartigen Geschichte, die sich immer wieder erneuert und vergegenwärtigt hat, lange Zeit unter den Aspekten der Mimesis und des manischen Bedürfnisses, die gesehene Welt wiederzugeben, festzuhalten, sie konzentriert sich auf diesen farbigen Fleck, den sie hinterlässt, diesen Rhythmus aus Flecken, der insgesamt als ein autonomes Stück Schrift, Sprache funktioniert, aber immer auch Referenzen bereithält, unter deren Auspizien sie kommunikativ und verbindlich wird. Man könnte vor den Bildern von Martin Pohl kunsthistorisch ziemlich ausgreifen, da sie sich ihrer Geschichtlichkeit sehr bewusst sind, ihr malerisches Selbstbewusstsein mit großer Geste vertreten, andererseits ihre Modernität demonstrieren, die sich ebenfalls berufen kann, diesmal auf internationale Zeitgenossen, die gegenwärtige Szene von Europa bis Amerika und wieder zurück.
In den Bildern, von denen hier die Rede sein soll, handelt es sich um Malerei als Erfindung, die einerseits über ein hohes Maß an Reduktion verfügt, anderseits doch Opulenz und Fülle erreicht. Wir sind einer merkwürdigen Dialektik auf der Spur, die aber offenbar darauf aus ist, nachzuweisen, dass es Mit puren Gegensätzen nicht weit her ist, dass es Zusammenhänge gibt, die interessanter sind als der Nachweis, was alles sich gegenseitig ausschließt. Der Künstler geht über die immer auch simple Behauptung hinaus, dass etwas nicht sowohl das eine als auch das Andere sein könne, allerdings unter Der Voraussetzung, dass die Bestandteile der Verbindung vorher genau untersucht und definiert sein müssen, damit nicht unversehens die um nichts weniger simple Verallgemeinerung des „anything goes“ ins Kraut schießt. Denn gleichzeitig existieren kann das einander Ausschließende nur auf verschiedenen Ebenen, und das mag eine Demonstration sein, zu der das Medium der Malerei durch seine Zuständigkeit besonders geeignet ist.
Martin Pohl legt den Bildträger sehr klar fest, nicht nur Fläche, sondern als Gegenstand, der geeignet ist, seine Fläche zu tragen und vorzuweisen. Die Fläche hat Farbe, ist monochrom, in sich nicht weiter differenziert. Sie behauptet nicht, Malerei zu sein, man könnte das auch Anstrich nennen, der zur Fläche des Bildträgers gehört, bevor noch der künstlerische Prozess einsetzt. Anderseits liegt natürlich in der Wahl dieses Bildträgers, in der Entscheidung für sein Format, seine materiellen Eigenschaften und eben auch für die Farbe der Bildfläche, eine künstlerische Dimension, die vor allem dann virulent wird, wenn auf weitere Schritte verzichtet wird. Das hat dann Sinn, wenn die Überlegung geprüft werden will, aus welchen Aspekten ein Kunstwerk bestehen muss, um sich als solches behaupten zu können – wir haben diese Demonstrativen schon hinter uns, aber es kann immer noch differenzierter an ihr gearbeitet werden.
Gegenüber diesen Analysen verhält sich Pohls Malerei synthetisch. Durch Format, Gestalt und Farbe des Bildträgers wird der minimale Aspekt des Kunstwerkes festgelegt, das sich dessen bewusst ist, darin bereits sein Auslangen finden zu können, dass in den Veränderungen dieser Setzungen eine unendliche Fülle an Möglichkeiten ihrer Organisation liegt, die zu weitreichenden Exegesen ihrer Verhältnisse führen können. Davon wird bei Martin Pohl gewissermaßen abgesehen, es genügt die Demonstration des theoretischen Bewusstseins, und es genügt dem Künstler, es durch eine ausreichende Formalisierung der Voraussetzungen weiterer Schritte akzentuiert zu haben. Ab diesen Moment wird gemalt. Die Farbe – pro Bild nur eine – wird in verhältnismäßig breiten Bahnen über den Bildträger gestrichen, wobei auf die Charakterisierung des Liquiden besonderer Wert gelegt wird: Es handelt sich um einen flüssigen, ziemlich raschen, aber ruhigen Prozess, der die Substanz der Farbe differenziert vorträgt, sehr dünn durchscheinend, bis zu deren opaker Verfestigung. Man könnte von einer Demonstration des Farbhaften sprechen, der genuinen Möglichkeiten von Farbe, überhaupt zu erscheinen, es geht um das Material Farbe, und seine einfachste, in einem einzigen Prozess vorgeführte Anwendung.
Was aber hinzudritt und die Individualität des einzelnen Bildes wesentlich seigert, ist der Rhythmus, der den Farbauftrag bestimmt. Die Flüssigkeit der Substanz und die Geschwindigkeit ihres Auftrages bedingen Überlagerungen, die wie Schlieren auf dem Bildträger liegen und das zeitliche Moment ihrer Schichtung konservieren. Es ist eine intensive, gebändigte Kurvatur, die zwar den gesamten Bildträger verhältnismäßig homogen überzieht, aber dennoch genügend Hinweise darauf gibt, seine Grenzen zu akzeptieren. Man könnte einerseits von einer all over-Struktur sprechen, anderseits wird die Entscheidung für das jeweils spezifische Format des Bildträgers als konstitutive Voraussetzung des malerischen Prozesses hinreichend bestätigt, um das Bild nicht aus einer Grenzen treten zu lassen Die Handschrift, die angewendet wird, um den Rhythmus des Farbauftrages zu bestimmen, bemüht sich – müsste man wohl sagen – um ein Moment des Willkürlichen. Sie definiert sich nicht aus geraden oder orthogonalen Strichen, verwendet auch keine additiven Kurvaturen, andererseits vermeidet sie die Assoziation auf Tachismen und die Tradition der informellen Malerei. Sie bleibt gebändigt, aber verzichtet auf Regelhaftigkeit, sie bremst sich ein, aber kategorisiert sich dadurch nicht. Dem malerischen Prozess , der momentanen Aktion, bleibt auf dieser Weise, nein wesentliches Element erhalten, das letztlich die spezifische Qualität dieser Bilder sehr wesentlich bestimmt, nämlich Aufmerksamkeit: Der Künstler füllt die Bildfläche keineswegs auf kategorische Weise, im Rhythmus der Handschrift wird der Vollzug ihres Geschehens sichtbar, und dieser Prozess erscheint als vorsichtig bewusst unsystematisch, der Künstler verzichtet auf malerische Eigendynamik, er unterbricht alle möglichen Assoziationen er hält das sehr labile Gleichgewicht zwischen spontaner Flächendeckung und kalkuliertem malerischen Vollzug aufrecht. Er macht seine Aufmerksamkeit gegenüber diesem Prozess sichtbar und schließ damit den Kreis, der in der präzisen Festigung des Bildformates seinen Ausgangspunkt gefunden hat.
Martin Pohl entfernt sich gesehen nicht sehr weit von einer monochromen, mit methodisch reduzierte Mitteln vorgetragenen, „konkreten“ Malerei. Ihre Wirkung aber ist durch den kalkulierten, aufmerksamen Einsatz des gestischen, als psychische Entäußerung empfundenen – Gestaltungsprinzips, spannungsvoll gesteigert. Das entfesselt die Rezeption, sie hat nicht nur dem künstlerischen Bewusstsein zu folgen, sondern auch der künstlerischen Intuition, man könnte von einer ganzheitlichen Malerei sprechen, die Anspruch erhebt, die Grenzen von rationaler und psychischer Aneignung des Kunstwerks zu benennen und aufzuheben. Wahrscheinlich wurde der virulente, bewegte Gestus der Bilder von Martin Pohl schon mehrfach „barock“ genannt. Den unmittelbaren Anlass dazu gibt zweifellos die rhythmische Handschrift des Farbauftrags, ein Element des Zusammenwirkens von Kurvaturen, die es dem Auge letztlich unmöglich machen, zu verharren, der –blick wird vielmehr in Bewegung gehalten, welches zeitliche Moment der Aneignung eben auch den Gestaltungsprinzipien des Barock entspricht. Hinzutritt bei Martin Pohl eine intensive, tiefe Farbigkeit, die das Bild – man möchte an dieser Stelle fast von Gemälde sprechen reich und kostbar erscheinen lässt, jedenfalls in seiner Materialität gesteigert, anspruchsvoll, und trotz des seriellen Charakters seiner Produktion, singulär. Das verbindet sie mit dem Gestus der Fülle in Barocken Kunstwerken, ihrer Präsenz und materiellen Suggestivität. Es wäre aber noch auf eine andere Dimension des Barocken hinzuweisen, die zwar nur über kunsttheoretische Bezüge hergestellt werden Kann, aber doch eine Begrifflichkeit meint, deren Anwendung auf bestimmte Interessen der zeitgenössischen Kunst sinnvoll scheint. Es besteht nämlich für die Barockmalerei die Forderung nach der klaren Erkennbarkeit, Lesbarkeit der Darstellung, was in erster Linie natürlich auf das Sujet bezogen war, aber auch die gesamte künstlerische Organisation des Bildes betroffen hat und damit prinzipieller, theoretische Erwägungen in Bezug auf den Einsatz aller zur Verfügung stehenden Gestaltungsmittel. So gesehen waren davon also auch ein Prinzipien wie Komposition und Farbgebung betroffen, die von den mimetischen, abbildenden Aspekten verhältnismäßig leicht abstrahiert werden können und nun eine gewisse Konkretisierung ihrer Anwendung erforderten, die ein höheres Maß an Autonomie der Gestaltungsmittel zur Folge hatte.in diesen Sinn verabschiede ich mich aus dem vorliegenden Text, dass ich der Malerei von Martin Pohl unterstelle, ihr Vollzug verdanke sich deine ähnliche Disposition der Forderung an das Bild, wie sie in der Barockmalerei bestanden hat. Hier wie dort geht es um eine größtmögliche Klärung der künstlerischen Mittel, in beiden Fällen wird der Anspruch gestellt, den Prozess des Bildes möglichst nachvollziehbar zu machen und über Transparenz und Synthese zu einem umso komplexeren, aber in seiner Komplexität analysierbaren Ergebnis zu kommen. Und in beiden Fällen will der Betrachter ganzheitlich erfasst werden, intellektuell und sinnlich, welches Ziel zu erreichen mir immer noch, und gerade im zeitgenössischen Kontext, unverzichtbar erscheint.
Ursula Schnitzer | Farbe Formen
Wenn man über Martin Pohl spricht, denkt man an Farbe, organische Formen und ein verhaltenes gläsernes Leuchten. Und tatsächlich sind diese ersten Assoziationen richtig und im Gespräch über diesen Künstler wesentlich. Martin Pohl wurde in Tarsch bei Latsch geboren. Nach dem Besuch der Bildhauerschule in Gröden hat er die Universität für angewandte Kunst in Wien besucht. Seither lebt er in Südtirol und Wien. Pohls Professoren waren unter anderem Ernst Caramelle und Oswald Oberhuber, mit letzterem hat er die Schallschutzwände an der der Wiener Südosttangente gestaltet und war von 1993 bis 1995 Lehrbeauftragter an seinem Institut. Fragt man Pohl nach seiner Ausbildung und seinem ursprünglichen Interesse, erfährt man, dass er eigentlich Bildhauer ist – ein Aspekt, der beim genauen Betrachten seiner Bilder und in Zusammenhang mit dem Titel der Schau erhellend ist – FARBE FORMEN Pohls Ausstellungstätigkeit im In- und Ausland setzt in den frühen 90er Jahren ein und ist in einer langen Reihe von Einzel- und Gruppenausstellungen dokumentiert. Seit Jahren wird Pohl in Südtirol von Antonella Cattani Contemporary Art, Bozen und in Österreich von der Galerie Jünger in Baden und der Galerie Schmidt in Hall vertreten. Mit einigen „Kunst am Bau-Projekten“ wie z.B. für die Kellerei Hoftstätter in Tramin, die Festung Kufstein und das Kloster Neustift hat er gemeinsam mit den Architekten prägnante Zeichen des Aufbruchs und der hohen Qualität der regionalen Baukunst der letzten Jahre gesetzt. Nun jedoch zum Werk, wie es der Künstler uns hier in der Karthause zeigt. Ich sagte, Pohl ist eigentlich Bildhauer, ein malender Bildhauer? Warum nicht – sein Werkstoff ist das reine Pigment in Wachs in Suspension gehalten. Und Wachs kann von dünnflüssig bis fest verschiedene Aggregatzustände haben, abhängig ist dies allein von der Temperatur und vom Druck zum Zeitpunkt des Auftrages. Martin Pohl modelliert nicht kaltes Wachs, sondern trägt pigmentiertes, warmes Wachs mit einem Spachtel auf den Bildträger auf. Der Bildträger ist monochrom mit Acryl eingefärbt und wesentlicher Teil der geplanten Arbeit. Seine Form, Proportion, Farbe und Größe sind in Kombination mit dem gespachtelten farbigen Wachs wesentlich für das Ergebnis. Die Reduktion auf eine, neuerdings zwei Grundfarben und nur einfarbiges – reines, nie gemischtes Pigment, sind von konzeptueller Strenge und werden allein vom Rhythmus und Druck der Spachtelführung und der Temperatur des Wachses definiert. Den Spachtel führt er ähnlich einem Pinsel, exzentrisch, kurvig, oft in barocker Manier. Dass man beim Betrachten des Ergebnisses an Gynkoblätter, Blutgefäße, Mikroskop Aufnahmen, Schläuche oder Landschaften erinnert wird, ist nicht Pohls Intention, sondern den Sehgewohnheiten unserer Augen zuzuschreiben. Wir sind es gewohnt, in Gegenständen Dinge zu sehen, die wir kennen und die uns helfen unser Sehen, Erkennen, Denken und schließlich Sprechen zu beschleunigen. Bei Pohls Bildern könnten wir ebenso gut auf diese Kategorien verzichten und dieselbe Lust beim Betrachten seiner Bilder empfinden. Es sind abstrakte, farbige Oberflächen mit einer enormen Oberflächenspannung. Es sind gespachtelte, räumlich gestaffelte, monochrome Farbwelten, ihre Bandbreite reicht von opak verschleiert bis transparent in zarte Nebel getaucht. Der Vielfalt sind aufgrund der Farbe und Form des Bildträgers in Kombination mit dem eingefärbten Wachs und den Spielarten seines Auftrages keine Grenzen gesetzt. Alle Details seiner Technik gibt Martin Pohl jedoch nicht Preis, fast alchemistisch bedeckt lächelt er, wenn man ihn auf so manches Detail in seinen Bildern anspricht. Der zweieinhalb Jahrtausende alte Begriff der Enkaustik, vom griechischen Wort enkauston, „eingebrannt“, einer künstlerischen Maltechnik, bei der in Wachs gebundene Farbpigmente heiß auf den Maluntergrund aufgetragen werden, kommt seiner Maltechnik jedoch sehr nahe. Die Leuchtkraft und Langlebigkeit der Enkaustik hat die Kunstgeschichte und Archäologie immer wieder fasziniert. Ein Blick in die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass die monochrome Malerei, die Bedeutung des Bildträgers, das gesteigerte Verhältnis zwischen Bild und Betrachter, ein Nahverhältnis zwischen den Gattungen Malerei und Skulptur, sowie eine stille, fast meditative Arbeitsweise oft von zentraler Bedeutung sind. Marc Rothko, Yves Klein, Josef Albers und Donald Judd sind bedeutende Vertreter dieser Ansätze. Die intensive Auseinandersetzung mit diesen Künstlern und die Bewunderung für ihr Werk, sowie der Drang, ebenso ernsthaft und einzigartig mit Farbe und Raum umzugehen, haben Martin Pohls Werk geprägt. Direkte Parallelen zu seiner Wachs-Pigment-Technik finden sich jedoch nirgends, sie machen seine Arbeiten einzigartig und unverwechselbar. Wendet man den Blick nun der Ausstellung hier in der Karthause zu und macht – analog zur Konzeption der Schau – den Versuch, das Werk in Werkgruppen zu gliedern, sieht man deren vier: Mikroskopisch netzartige, die Hartfaserplatten überspannende Flächen aus der Mitte der neunziger Jahre; Skulpturale Tunnel oder Röhren. Hatte man bisher den Eindruck eine Art horror vacui sei bildbestimmend, wird man jetzt die besondere Spannung und Räumlichkeit zwischen Wachsauftrag und Grundierung feststellen. Schließlich die „Museumsbilder“, freche Arbeiten, die den Wunsch eines jeden Künstlers in den internationalen Museen und Galerien gefeiert zu werden, ad absurdum führen. Pohl stürmt mit dieser Werkreihe nach Lust und Laune eine Vielzahl von internationalen Museen und sucht sich obendrein – gerade als gäbe es weder einen Kurator noch eine Ankaufkommission – Platz und Format für seine Arbeiten selbst aus. Und zuletzt die Wachslandschaften, Pohls jüngste Arbeiten aus den Jahren 2009 und 2010. Der Künstler generiert Landschaften und Gebirgsformationen allein durch einen verstärkt horizontalen Spachtelstrich und ein Verrinnen zwischen den einzelnen Bahnen. Unmittelbarer und im gleichen Moment völlig abstrakt hat die Malerei Eis oder sattes Wiesengrün selten dargestellt. Und erneut ertappt man sich, trotz aller Abstraktion und konzeptueller Arbeitsweise nach Analogien in vertrauten Motiven zu suchen, ansonsten würden wir an dieser Stelle nicht von Landschaften sprechen. Dass Martin Pohl selbst mit diesem Vokabular sein Werk beschreibt, zeigt, dass diese Betrachtung durchaus legitim ist. Wir können geformte Farbe sehen oder nach Naturphänomenen inventarisieren – an der Spannung zwischen Fülle und Reduktion in Pohls Bildern ändert sich nichts. Sie sind magnetisch und – in Pohls Spachtelsprache formuliert – eindrücklich!
Ursula Schnitzer Studium der Kunstgeschichte an der Universität Innsbruck, 1996 – 2000 Leitung des Tiroler Landesinstituts Bozen, seit 2001 Mitarbeiterin bei Kunst Meran, Kuratorin diverser Ausstellungen.